Genesungsgeschichten

Genesungsgeschichten


Hinweis:

In dieser Rubrik veröffentlichen Autor*innen ihre Genesungsgeschichten. Vor Genesungen stehen oft Situationen, warum eine Genesung überhaupt erforderlich war. Das bedeutet, dass hier sexuelle oder körperliche Gewalt, Suizidgedanken und weitere psychiatrische Symptome in den Geschichten angerissen werden können. Bei manchen Menschen können diese Themen negative Reaktionen auslösen. Bitte sei achtsam, wenn das bei Dir der Fall ist.


Der Aussteiger

anonym

Zuerst: Ich hatte eine strenge, aber auch lockere Erziehung genossen. Ich war als Kind schon moppelig und sehr schüchtern. Ich hatte keine richtigen Freunde und bin in der Schule immer gehänselt worden, wegen meines Übergewichts. Während meiner Kindheit hat mein Vater mir ständig eingeprägt, ich sollte mich doch endlich wehren. Ich hatte mit meinem Vater nur Gespräche über Gewalttaten, die Er begangen hatte, und ich sollte doch endlich aufwachen. Er erzählte mir immer, mit einem Lächeln im Gesicht, wie er sich schon in jungen Jahren mit der Polizei Schlägereien lieferte und sich jedes Wochenende mit seinen Freunden in Kneipen und Diskotheken Auseinandersetzungen regelrecht suchte. So war Er mein Vorbild und ich wollte ihn immer Stolz machen und so sein wie Er. Deshalb habe ich mit 17 Jahren schon angefangen, mich in der Bahnhofsnähe rumzutreiben. Ich wollte nicht mehr der kleine dicke David* sein, der sich herumschubsen lässt. Ich wollte ausbrechen aus meinem Opferleben und habe in der Kneipe am Bahnhof meine ersten Erfahrungen mit Alkohol und Gewalt gemacht.

Also kam mir zugute, dass mich bei einer volltrunkenen Kneipenschlägerei ein berüchtigter Hooligan beobachtete und mich nach der Aktion ansprach. Er hat mir einen nach dem anderen ausgegeben. Korn mit Cola, sogenannten Hooligan-Champagner. Er war so begeistert von meiner Aktion, dass er mir von zahlreichen Schlachten mit gegnerischen Hooligans bei organisierten Treffen erzählte, um zu zeigen, wer die Nummer Eins bei den Fußball-Schlägereien war. Er lud mich ein, das nächste Wochenende mit zu kommen zu einem Match mit den gegnerischen Hooligans.

Ein paar Jahre zog ich so als Hooligan, zu Auswärtsspielen und Heimspielen, grölend und gewaltbereit durch die Städte. Mit 22 Jahren zog ich um, ich hatte mit der Hooligan-Szene vor Ort aufgehört und lebte als Präsident in einem Rocker-Club mein gewalttätiges Leben aus. Ich machte mit meinen Club-Brüdern die Partystraße unsicher. Mein bester Freund und Club-Bruder hat zu diesem Zeitpunkt bei mir gewohnt. Bei einem vom Gremium arrangierten, sogenannten harmlosen Übergabe-Treffen auf einem Rastplatz auf der Autobahn mit einem Biker-Club, mit denen wir sozusagen Waffenruhe hatten, denn die Feinde meines Feindes, sind meine Freunde, wurde ein Biker sehr ungeduldig und zog eine Waffe und bedrohte mich damit.

Am nächsten Tag fuhr ich alleine mit dem Auto zu meinem Vater, um ihn zu besuchen. Ich habe es zumindest versucht, da an einer Ampel meine Fahrertür aufgerissen wurde und 5 gewalttätige Nazis mich aus dem Auto zogen. Ich reagierte zum Glück blitzschnell und konnte ohne lebensbedrohliche Verletzungen entkommen. Irgendwann begann ich, nicht mehr alleine aus dem Haus zu gehen. Für mich war es schon Alltag und ganz normal, dass mich immer mein bester Freund begleitete. Ich fing aber an, hinter jeder Ecke und jeder Person, der ich begegnete, eine Gefahr für Leib und Leben zu sehen. Ich freundete mich, eine Zeit später, mit der Geschäftsführerin eines Lokals an und verbrachten viel Zeit privat mit ihr.

Eines Tages bat Sie mich mal zu einem Psychiater zu gehen, da es nicht normal wäre, wie ich mich verhalten würde. Ich sah keine Notwendigkeit zum Arzt zu gehen, da es doch ganz normal wäre, wie ich mich verhalten würde. Ihr zur Liebe trat ich murrend und schlecht gelaunt den Weg zum Psychiater an. Sie begleitete mich, damit ich nicht abhauen und flüchten konnte. In dem Gespräch mit dem Psychiater stand für ihn schnell die Diagnose, schwere paranoide Schizophrenie mit Depression und Psychose, fest. Als ich die Diagnosen hörte, kam auf einmal bei mir der Gedanke, so nicht mehr weiterleben zu können und ich teilte meine Gedanken, die mir richtig Angst machten, weil ich den Zustand nicht verstand, dem Arzt mit. Ich wurde ziemlich nervös und zitterte am ganzen Körper. Ich fühlte mich zum ersten Mal richtig verletzlich und labil. Der harte Präsident und ehemalige Hooligan, der so hart sein wollte wie sein Vater, und ihn stolz machen wollte, war auf einmal ein kleiner verletzlicher Junge.

Der Arzt handelte sofort, ohne zu überlegen und rief einen Krankenwagen, der mich sofort in die geschlossene Psychiatrie brachte. Dort war ich dann 2 Monate auf der Geschlossenen, wo ich nur mit Tavor vollgepumpt wurde, und weitere 5 Monate auf der offenen Station.

Als ich das erste Mal in der Klinik war, haben sich all meine Freunde und Club-Brüder von mir distanziert und mich fallen gelassen. Die Führungsebene vom Gremium hat eine Sitzung einberufen und einstimmig beschlossen, dass ich den Club im Guten verlassen darf, obwohl ich ja sehr viel Wissen über die illegalen Geschäfte hatte. Sie meinten nur zu mir: Psychopathen können und wollen wir im Club nicht dulden. Selbst mein Held, mein Vater, wandte sich von mir ab. Ich war für ihn ein Weichei und kein richtiger Mann. Sein Spruch war: Du bist nicht mein Sohn, nur der Sohn deiner Mutter.

Im Krankenhaus und nach dem Umzug zurück in meine Heimatstadt in eine betreute Wohn-WG, fing ich zum ersten Mal an, über meine Schandtaten und mein gewalttätiges Leben nachzudenken. In der WG zog ich mich dann zurück und versuchte über die Jahre, mir das Leben mit einer Überdosis Schlaftabletten, da ich schlaftablettenabhängig war, und Alkohol zu nehmen. Ich kann gar nicht mehr aufzählen wie oft.

Brief

„Ich weiß, dass ich ein schlechter Mensch bin und hasse mich sehr dafür, was ich in der Vergangenheit anderen Menschen angetan habe. Die ganzen Menschen, die ich verletzt habe, den Fehler mit den Hooligans und dem Rocker-Club. Und Ich soll ein liebevoller, guter Mensch sein? Ich kann mir diese Taten nicht verzeihen. Es tut mir auch so unendlich leid, dass ich nicht für meinen Sohn ein richtiger liebevoller Vater sein durfte, um ihm Liebe zu geben. Aber ich weiß, dass Er es ohne mich besser hatte. Aber es zerreißt mich sehr, ihn nicht aufwachsen sehen zu dürfen, seine ersten Schritte, sein erstes Wort. Seine erste Freundin. Selbst nach der Trennung meiner Eltern, das war vor der ersten Klinik Erfahrung, habe ich mich schlecht meiner Mutter gegenüber verhalten. Ich habe mich auf die Seite meines Vaters gestellt und sie verletzt und ihr sehr weh getan. Ich war sehr leicht manipulierbar und ein Ja-Sager und ich ließ es auch noch zu. Ich war schwach und habe viele falsche Entscheidungen getroffen. Ich enttäusche einfach jeden. Ich habe gar nicht das Recht glücklich zu sein, oder sogar die Berechtigung zu Leben. Ich wollte doch nur so ein richtiger und harter Mann sein, wie mein Vater, keine Gefühle und Schwächen zeigen. Aber das war und bin ich nicht. Im Grunde, ganz tief in mir, wollte ich nie so sein wie mein Vater, aber wie gesagt, ich habe es zugelassen, dass man mich manipuliert. Ich weine mich sehr oft in den Schlaf.

Heute kann ich eigentlich mit Glück und Erleichterung sagen, wäre ich nicht krank geworden, dann wäre ich jetzt entweder im Knast oder tot.“

Diese Erkenntnis hat mir sehr geholfen, mein Denken, meine Einstellung und mein Leben komplett zu verändern und umzukrempeln und mein Leben heute komplett selbst zu gestalten und Ziele zu setzen.

* Name geändert


Achterbahn

Irene Olthoff

Ich erinnere mich, wie ich im Bus saß und versuchte, den Moment der Ruhe zu genießen. Zuhause gab es viel Streit. Mein Bruder „sollte sich eine Scheibe von seiner kleinen Schwester abschneiden“, so mein Vater. Gott, wie sehr ich diesen Satz hasste, ich wollte nicht besser sein. Papa wurde oft sehr laut und es war schwer zu ahnen wann. Teilweise reichte eine leere Saftpackung in der Küche aus, welche nicht vernünftig entsorgt wurde, und er explodierte. In einer Jugendtherapiestunde malte ich ihn als Krokodil, ich empfand damals, er würde plötzlich schnappen. Er schnappte selten nach mir, ich hatte gute Noten und war weitestgehend brav. Ich hatte gelernt mich zu ducken, saß nur auf der Treppe, sah zu und weinte. „Das Mädchen auf den Treppenstufen weint, weil alles in ihr schreit und sie nicht schreien kann“, lautete Jahre später eine Zeile in meinem Liedtext.
Zurück zum Bus, auf dem Weg zur Schule. In der Schule fühlte ich mich oft einsam. Andere Mitschüler lästerten über mich. Im Dschungel der Gerüchte, machten sich die wenigsten noch Mühe, mich kennen zu lernen. Streberin, Lesbe, Schlampe. Im Bus ließ man mich in Ruhe. Ich sank in meinem Sitz ein, kniff die Augen zusammen und fuhr von Hölle zur Hölle. Am 28. Februar 2006 schrieb ich in mein Tagebuch: „Mit den Herbstferien begann das alles eigentlich, mit dem allein sein und dem immer schlimmer werdenden Mobbing. Da war Stress in der Clique und ab da habe ich nicht mehr richtig dazugehört. Nirgendwo zugehört. Ich weiß nicht, aber noch so ein Dienstag, an noch sowas möchte ich nicht denken. Ich möchte nicht daran denken, was ich mir dann antun würde.“
Ich würde sagen, da setze ich den Startpunkt meiner Krankheitsgeschichte. Ich fand eine Scherbe und begann das Ritzen, ich hasste mich und ich hasste die Welt. Ein guter Monat noch und ich würde meinen 14. Geburtstag feiern. Zum Glück gab es dann doch noch Dinge die mir Halt gaben. Ich sang im Chor, übte die Kampfsporttechnik Jiu-Jitsu und lernte im Oktober meinen damals besten Freund und jetzigen Mann auf einem Jahrmarkt kennen. Ich wurde selbstbewusster, begann meinem Vater auch mal die Stirn zu bieten, ging viel auf Partys. Meine Eltern trennten sich, meine Mutter und ich zogen in eine neue Wohnung. Mein inzwischen erwachsener Bruder bezog die Wohnung nebenan, er benahm sich unselbständig, aggressiv und frauenverachtend. Leider entwickelte ich auch Hauterkrankungen und Schlafstörungen, sodass ich mein Abitur abbrechen musste. Da ich schon immer sehr ehrgeizig war, war das nicht leicht für mich. Als meine Mutter ihren neuen Mann kennenlernte und ich sie für sicher befand, flüchtete ich in eine neue, fremde Ortschaft, um mir ein Leben ohne ständigen Spannungen und Konflikten aufzubauen. Dort hatte ich einen Ausbildungsplatz zur Restaurantfachfrau, den ich aber alsbald verlor. Ich schlug mich durch, zu stolz um bei den Eltern anzurufen. Beantwortete Formular für Formular und ging mit 2€ einkaufen, weil der Hartz4 Antrag noch nicht bewilligt war. Bauernbrot für 60ct, Frühlingsquark 45ct. Nachdem ich meinen zweiten Ausbildungsplatz verlor und mich leer fühlte, diagnostizierte mein Hausarzt eine posttraumatische Belastungsstörung. Ein erster stationärer Aufenthalt folgte.
Zusammengefasst folgten weitere Klinikaufenthalte, ich litt 2013 unter einer Psychose mit anschließender Depression, auch 2016 hatte ich ein schweres Jahr. Ich war nicht nur krank, das ist missverständlich. In gesunden Phasen schloss ich meine Ausbildung zur Verkäuferin ab, das erste Lehrjahr zur Ergotherapeutin, ich zog mit meinem Freund zusammen, wir heirateten, es war eine verdammt tolle Hochzeit, und zwei Jahre später wurde ich Mutter eines wundervollen Sohnes. Vor der Geburt war ich 3 Jahre lang weitestgehend medikationsfrei stabil. Nach der Geburt kippte ich, unter dem Druck ihn in der Kinderklinik zu betreuen, in eine heftige psychotische Manie mit anschließender Depression. Mein Sohn war 6 Wochen alt, er hatte eine schwere Entzündung. Durch Corona bekam ich in der Kinderklinik kaum Unterstützung, parallel lief unser Umzug in eine größere Wohnung. Mein Mann übernahm die Stellung und aus der Hilflosigkeit heraus wurde ich in die Geschlossene eingewiesen.

Ein kleiner Exkurs, denn Psychosen sind wirklich schwer nachvollziehbar. Ich möchte es aber versuchen zu erklären. Zuerst kommt das Gedankenkreisen, das kennen denke ich viele. Man zermartert sich den Kopf, über die Oma die gestorben ist und was man ihr eigentlich noch sagen wollte, irgendeinen Streit mit Kollegen/ Familie/ Freunde, der To-Do und dann ist da auf einmal Punkt 2: Der Schlafentzug. Irgendwann fühlt man sich wie besoffen. Und jetzt kommt die Psychose. Es ist wie Träumen. Irgendjemand spricht deine Gedanken laut aus, hat aber in Wirklichkeit nichts gesagt. Du hast Eingebungen, das und das tun zu müssen oder etwas Besonderes zu wissen. Fühlst dich vielleicht auch verfolgt. Mir kommt es manchmal so vor, als vergisst das Gehirn vor lauter Überforderung zu filtern und zu sortieren. Und auf einmal siehst du Dinge, die da nicht sind. Die fehlenden Filter öffnen auch alle Deckel und der Fußgänger hinter dir beschimpft dich und macht dir Angst weil DU dir Angst machst, weil deine eingerosteten Glaubenssätze in dieser Psychose auf einmal so präsent werden, dass sie laut werden in Form von Stimmen hören und was noch alles. Das kann ein richtiger Horrortrip sein.
Oder auch pushen, wenn man das Gefühl hat Hilfe zu bekommen und Jesus zu begegnen. In meiner zweiten Psychose fühlte ich mich teilweise sogar erleuchtet. Schlimm war es trotzdem. Auch für die Angehörigen, die mich als „wach Träumenden“ nicht mehr erreichen konnten.

Depressionen sind etwas ganz anderes.
Auf den ersten Blick könnte man annehmen, sie wären einfacher. In meinen Depressionen war ich ansprechbar, hatte einen klaren Realitätsbezug. Und doch wieder nicht. Meine Welt war ohne Farben, ohne Gefühle. Es gab auch keine Trauer oder Wut, da war nur dieses Nichts. Wie das Nichts aus der unendlichen Geschichte, einem Buch von Michael Ende. In seiner Geschichte geht es um ein Nichts, welches sich ausbreitet, die Akteure können es aber nicht anschauen. Ihre Augen können es nicht ertragen ins Nichts zu blicken. Das ist eine Depression für mich. Gestand mir mein Mann seine Liebe, konnte ich es nicht spüren. Alles war bedeutungslos und jede Depression fühlte sich an wie für immer.
Zum Glück habe ich inzwischen mithilfe meiner Erfahrung an Halt gewonnen. Ich weiß inzwischen um die zeitliche Begrenzung depressiver Phasen, ich habe sie verinnerlicht, und diese Gewissheit trägt mich durch jeden noch so schlimmen Gedanken. Ich habe sooft erfahren, dass eine Depression nicht für immer andauert, dass ich mich selbst in einer solchen Phase darauf verlasse und mich daran festhalten kann.
Und dann wärmen die ersten Sonnenstrahlen mein Gesicht. Sie taten es schon die ganze Zeit, aber auf einmal sickert ein klein wenig von diesem Licht durch meine Haut, statt an den Mauern der Krankheit abzuprallen. Tag für Tag wird es besser.
Eines Morgens wärmt das Licht wieder mein Herz.

Vielleicht nochmal ein Schlusswort dazu, wie ich genesen bin. Es gab einen Menschen der mich liebte, noch bevor ich es selbst konnte. Ich hatte einen aufmerksamen Hausarzt, der hinsah und mir einen guten Klinikplatz verschaffte. Ich hatte den Mut umzuziehen. Ich versuchte mich aus der Verantwortung meiner Familie gegenüber zu lösen. Ich als Kind hatte sie eigentlich nie, aber manchmal fällt es mir immer noch schwer, das einzusehen. Ich betete und Gott gab mir Kraft. Ich stand immer wieder auf. Ich rannte mit Anlauf in die Scheiße, machte Fehler, um dann wieder von vorne anzufangen. Apropos rennen, ich rannte viel. Im wahrsten Sinne des Wortes, Bewegung war für mich stets ein Strohhalm. Wenn ich nicht weiterwusste, fragte ich nach Hilfe. Die Reise ist nicht vorbei, zum Glück, denn das heißt ich bin am Leben. Ich bin hier und ich bin ok. Und ich finde, ich kann stolz auf mich sein.