Kreatives
Inhaltsverzeichnis:
Der Drache Smaragog
Die Geschichte Des Lebens
Befunde
Der neue Untermieter
Meine Diagnose stellt sich vor – Das Nein durch Borderline
Der Drache Smaragog
Eine Heldenreise* von Irene Olthoff
Einst wandelte die Heldin Arajaína im dunklen Tal, dort wo die Dämonen sind. Sie war ein Kind und sie war allein. Da passierte es, dass das finstere Land sie verfärbte und der Drache Smaragog von ihr Besitz ergriff. Er war nicht einfach nur ein Drache, wie man ihn sich vorstellt. Nein, er war noch viel perfider. Er war ein immaterielles Geistwesen und schlich sich ungesehen, heimlich, in Arajaínas Herz.
Als diese dann das Tal längst verlassen hatte, trug sie den Drachen noch bei sich, ohne es zu merken. Sie wuchs auf und wurde zur Frau. Ihr widerfuhr viel Gutes, nicht ausschließlich, aber doch spürbar. Trotzdem konnte sie nicht glücklich sein und fragte sich warum. Der Drache Smaragog hauste derweil in ihrer Brust und schnürte sie zu. Arajaína gab nicht auf und höhlte mit ihrer Kraft und Zähigkeit Tropfen für Tropfen den Stein. Smaragog wehrte sich und es schien, als bliebe Arajaína von ihm besessen.
Da trat die Heilerin Jesivaha in das Leben der jungen Frau und gemeinsam erkannten sie das schreckliche Geistwesen in ihrer Brust. Die Frauen gingen in den Wald. Jesivaha blickte Arajaína fest in die Augen und bat um Vertrauen. Mit einem entschlossenen „Ja“ gab sich die Heldin in Jesivahas Hände, um den letzten Schritt zu tun, den bereits geschwächten Drachen endgültig zu vertreiben. Sie ließ los, ihr Körper fiel auf den weichen Waldboden und zur gleichen Zeit, als das Moos ihre Wange streifte, gab ihre Seele den Drachen Smaragog frei. Er ward nie mehr gesehen. Arajaína schlug die Augen auf und atmete frei.
*Die Heldenreise ist ein Format der Fokus Wörterwerkstatt, angelehnt an Paul Rebillot und dem Kursmaterial der Qualifizierung zur EX-IN Genesungsbegleiterin entnommen. Inhaltlich geht es um die Auseinandersetzung mit eigenen Erfahrungen und Recovery (Genesung) auf fantasievolle Art.
Die Geschichte Des Lebens
Madeline Albers
Es war ein weit entfernter, vereinsamter Wald. Grauer Nebel zog kilometerweite Schleier, Regen drang durch die triste, verwahrloste Landschaft. Schon lange bahnte sich kein Lichtstrahl mehr in sein tiefstes Inneres. Doch eines Tages bestritt eine mutige Frau den langen Weg entlang der Dunkelheit. Ihr sonnengelber Schirm verscheuchte jedes Nass, ihr Gang war furchtlos und stark.
Nach langem Marsch entdeckte die alte Frau eine kleine, dunkle Höhle. Fast lautlos vernahm sie das pulsierende Herz, das in dem Inneren traurig schlug. Vorsichtig ging sie hinein und blickte in verschreckte Augen.
„Wer ist da?“, fragte die Frau behutsam und setzte sich auf die feuchte Erde. Ihre ruhige Stimme klang vertraut.
„Ich“, ertönte es leise, „Ich bin das Leben.“
Die Augen der Frau fingen an zu leuchten. „Was machst du hier? Bist du denn nicht einsam?“, fragte die alte Frau und rückte näher.
„Doch“, antwortete das Leben, „ich bin einsam. Schon vor langer Zeit lief ich davon, so weit mich meine Füße tragen konnten. Seitdem sah ich niemanden mehr. Das macht mich sehr traurig, doch mir geht es besser hier. Es ist furchtbar dort draußen.“ Das Herz pochte nun nicht mehr vor Angst. Es raste vor Kummer und Wut.
„Sag‘ mir, Kleines, wovor liefst du davon?“ Die alte Frau streichelte zaghaft die Schulter des Lebens. Kaum noch Haut legte sich über die knöcherige Gestalt, sie wirkte kraftlos und von Kälte geschunden. „Vor den Menschen“, erwiderte das Leben mit tiefsitzender Bitterkeit. „Weißt du, es scheint, als würde mich jeder unbedingt wollen, doch niemand weiß mich wirklich zu schätzen. Die Menschen kratzen sich gegenseitig die Augen aus. Doch die Wunden“, erklärte das Leben mit nun brüchiger Stimme“, „die Wunden, die trug ich.“
Die alte Frau nickte verständnisvoll und strich dem Leben eine Träne aus dem Gesicht.
„Das ist nicht alles. Sie führten grundlos Kriege und gaben mir die Schuld. ‚Scheiß Leben‘, sagten sie dann, bis ich ihnen glaubte. Von vielen wurde ich verbannt und ihr Hass stieß mich harsch hinfort. Ich weiß, dass ich nicht immer gerecht war. Und manche Menschen hassten mich zurecht. Doch auch das, was ich jedem gleichsam lehrte, das berührte sie nicht mehr.“
„Mein liebes Leben, was lehrtest du den Menschen?“, fragte die alte Frau neugierig. Ihre zarten Hände schmiegten sich behutsam um die weinende Gestalt.
„Ich lehrte sie, zusammenzuhalten. Ich gab ihnen Individualität, Unterschiede, verschiedene Eigenschaften. Damit sie verstehen, dass jeder besonders, aber deshalb nicht besser oder schlechter ist. Sie sollten lernen, den Wert in sich selbst zu erkennen, doch auch den der anderen Menschen. Viele hatten nicht die selben Voraussetzungen – das konnte ich ihnen nicht bieten. Und ja, manche musste ich vernachlässigen, um mich anderen zu widmen. Doch ihr Hass richtete sich nicht allein gegen mich – er richtete sich gegen den Menschen. Und dann entwickelten sie Neid und Missgunst.“ Das Leben blickte nun traurig zu Boden, der Schmerz war deutlich zu spüren.
„Damit zerstörten sie nicht nur meinen Anteil an ihrem eigenen Dasein, sondern sie erschufen eine Welt, in der es um Hierarchien, Konkurrenz und um Auf- und Abwertungen ging. Mit jedem Schlag, den sie gegen sich ausholten, hielt ich meinen Kopf gleich mehrmals hin. Immer mehr von ihnen verloren die Verbindung zu mir. Bis ich mich entschied, davonzulaufen. Ich ließ ihnen eine Fläche, auf der sie ‚sein‘ konnten. Was sie mit ihr machen, das liegt nun allein bei ihnen.“
„Ich verstehe“, flüsterte die alte Frau und nahm das Leben tröstend in den Arm. „Es tut mir sehr leid, dass es dir so schlecht geht. Doch ich habe lange nach dir gesucht…“ Das Leben schaute überrascht auf, sein Herz schlug wieder schneller.
„Nach mir?“, fragte es ungläubig. Es hatte doch lang niemand nach ihm gefragt.
„Ja“, antwortete die Frau. „Auch ich habe Probleme, die Menschen zu erreichen.“ Sie lächelte, als sei das eine aufbauende Nachricht. Doch dann erzählte sie weiter.
„Seitdem du weg bist, versinkt die Welt im Chaos. Den Menschen fehlt zunehmend der Sinn. Ich habe versucht, ihnen zu helfen und zeigte ihnen, dass sie die falsche Richtung einschlugen. Doch sie verstehen nicht, dass es kein Leben ist, wenn man es auf Kosten anderer führt. Sie glauben, dass sie Glück bekommen, wenn sie es jemandem nehmen und dass sie nur stark sind, weil es woanders Schwäche gibt. Ich brauche deine Hilfe.“
Lange denkt das Leben über die Worte der alten Frau nach.
„Aber sag‘ mir, was kann ich bloß tun?“ Der Zweifel lässt den Boden vibrieren.
„Zeig‘ ihnen, dass es sich lohnt, gut zu sein. Lehre sie, dass Harmonie und Mitgefühl stärker sind als Hass und Furcht. Dann kann ich sie mit dem Gefühl belohnen, nach dem sie sich eigentlich sehnen.“ Die alte Frau steht langsam auf und reicht dem Leben die Hand, um ihr zu folgen. Doch bevor das Leben nach ihr greift, hat es noch eine letzte Frage.
„Sag‘ mir noch, wer bist du eigentlich?“
„Ich…“, antwortete die Frau mit einem Lächeln. „Ich bin die Liebe.“
Eine Geschichte von Madeline Albers, inspiriert von “Das Märchen von der traurigen Traurigkeit” von Inge Wuthe.
Befunde
Anonym
Eine Person geht zum Arzt.
Der HNO Arzt schaut in den Hals, sieht in die Ohren und überprüft die Nase. Am Ende der Untersuchung stellt er fest: Kein Befund.
Der Zahnarzt guckt sich das Gebiss an, lässt die Person auf die Zähne beißen und befindet letztendlich: Kerngesund.
Die Chirurgin erstellt ein Röntgenbild vom ganzen Skelett, sieht sich das an und findet nichts.
Die Augenärztin macht Sehtests, misst den Augendruck und so fort. Auch sie stellt am Ende fest, dass alles in Ordnung ist.
Die Ärztin für Innere Medizin untersucht ebenfalls den Menschen und findet auch nichts.
Der Psychiater macht ebenfalls seine Untersuchungen und schreit: „Akute Lebensgefahr! Diese Symptome müssen wir ernst nehmen!! Vorsorglich in die Klink – Notfall!“
Was ist der Sinn dieser Geschichte? Leider sind psychische Erkrankungen nach meiner Meinung physikalisch oder chemisch nicht messbar.
Der neue Untermieter
Claudia Schütte
Ich bin mit mir allein, kreisende Gedanken, seltsame Gefühle,
plötzlich klopft jemand an meine Türe:
„Hallo Claudia, ich bin die Angst und ziehe gerade bei Dir ein.“
„Was ist in den vielen Koffern?“, frage ich sie.
Sie grinst unschuldig: „Ooch, Panik, Herzrasen und Depressionen!“
„Herr Gott! Hier ist kein Platz für Dich!“
Die Angst scheint das nicht zu interessieren, resolut fügt sie hinzu:
„Hier fühl‘ ich mich wohl, hier bleibe ich!“
Es wird eng in mir. Ich bekomme keine Luft mehr.
Nun laufe ich schon 2 1/2 Jahre mit meinem neuen Untermieter herum!
„Hört, Leute da draußen, wenn Ihr wirklich glaubt,
dass Ihr Vandalen als Untermieter habt – darüber kann ich nur lachen!
Während Ihr euch ängstigt wegen materieller Dinge,
zerfetzt meiner meine Seele!“
Er ist wie ein Tornado, er fragt nicht nach Dingen, er nimmt sie einfach:
Meinen Schlaf, meine Träume, meine Gedanken und Gefühle.
Nichts, aber auch gar nichts ist ihm heilig.
Er wütet mit ihnen und durch sie hindurch.
Wenn er fertig ist spuckt er alles halb angefressen und kaputt an anderen Orten wieder aus.
Ich fühle mich, als bestünde meine Aufgabe nur noch darin,
meine Eigentümer zu kitten, zu kleben und notdürftig zu reparieren!
Versteht mich denn keiner? Ich brauche diese Dinge zum Leben!
Für andere wirke ich isoliert, desinteressiert, lustlos, vielleicht sogar faul.
Keiner weiß von ihnen, dass ich einen 24 Stunden Job erfülle, um überhaupt zu überleben!
„Leute da draußen, wisst Ihr, wie frustrierend ein Job ist, der nur und ausschließlich darin besteht,
das zu reparieren, was ein Anderer mit Freude und Wonne zerstört?“
Oh Gott, wie schön war die Zeit ohne Dich, Angst!
Mir ging es so gut, alles war so …
so einfach unbeschwert, aber das weiß ich erst jetzt!
Mein Untermieter stiehlt auch.
Er hat meine Unbeschwertheit gestohlen.
Etwas, was ich mir für alles Geld der Welt nicht wieder kaufen kann.
Mein Neurologe weist mich in die Klinik ein …
Herrlich! Eine Station voller Menschen, die ihren lästigen Untermieter loswerden wollen!
Gruppentherapien, Expositionen, Ärzte und Pfleger, alle helfen mit!
Mein Untermieter hat zum ersten Mal selber Angst.
Er will verständlicherweise nicht ausziehen.
Darum zieht er alle Register und trickst sie mit List alle aus.
Wie anfangs gesagt, er ist nicht alleine gekommen…
Wenn die Angst des Rebellierens müde ist, schickt sie die Depression an die Front,
die beiden sind so ein verdammt gut eingespieltes Team!
Wenn die eine müde ist, macht die andere weiter.
Siegfried und Roy sind als Team jämmerliche Anfänger dagegen!
Manchmal habe ich das Gefühl, verrückt zu werden.
Zurzeit arbeite ich 30 Stunden am Tag, die Zeit wird knapp.
Es muss noch so vieles repariert, gekittet und geklebt werden…
„Angst! Verdammt nochmal!“
Meine Güte, es ist immer noch mein Haus!
Ich werde kämpfen!
Und dann schmeiß‘ ich Dich
einfach raus!
Meine Diagnose stellt sich vor – Das Nein durch Borderline
Anonym
Ich bin Bordy, die Krankheit von Fabian*. Fabian hatte Nein gesagt, wenn er etwas nicht wollte. Dabei wurde er aber von den Gegnern verlacht und genötigt, schließlich gab er nach. Das Nachgeben machte Fabian aggressiv, das Nein war doch ernst gemeint! Er schlug um sich, was zu Lachern führte, da er nicht der Schnellste und auch nicht der Treffsicherste war. Im Verlauf der Zeit verlor er das Neinsagen. Aber wie setzte er sich durch? Da kam ich zum Vorschein, die emotional instabile Persönlichkeitsstörung, auch Borderline genannt. Ich befähigte ihn, sich durchzusetzen, nur ging ich dabei unter die Gürtellinie. Fabian wurde impulsiv und bisweilen sogar gewalttätig. Im letzten Jahr war Fabian deshalb in einer Klinik, aber er verhielt sich dort ruhig. Da er dort nicht ausrastete, wurde ich „umgetauft“ auf eine neue Diagnose. Inzwischen tauche ich, Bordy, aber wieder auf – allerdings reagiert Fabian nur auf Provokateure. Außerdem hat er dazu gelernt. Ich bin zwar weiterhin Fabians immer wieder kehrende Baustelle – aber er hat inzwischen gemeistert, brenzlige Situationen zu vermeiden und sogar auszusteigen. Wenn Fabian heute Nein sagt, wird er ernst genommen, daher braucht er mich immer seltener.