Empowermentgeschichten
Inhaltsverzeichnis:
Freiheit ist mein Geburtsrecht
Vertrauen schaffen
Bericht einer Teilnehmerin – Traumreise
EX-IN Interview mit Madeline
EX-IN Interview mit Alex
EX-IN Interview mit Herrn D.
EX-IN Interview mit Estefania
Irrtu(r)m – Wer ist das?
Glück und Glück
Genug
Ich bin bipolar
In diesem Bereich tummeln sich ab sofort auch Interviews mit ehemaligen EX-IN Kurs Teilnehmer*innen von Fokus Bremen. Wir wollten erfahren, was sich bei ihnen beruflich durch die Schulung zur Genesungsbegleitung verändert hat. Die Rubrik wird laufend erweitert, reinschauen lohnt sich.
Freiheit ist mein Geburtsrecht
anonym
Die Narbe unter dem Pflaster brennt. Ganz frisch ist der Schnitt. Und ich hab Halsschmerzen von dem Tubus, den sie mir bei meiner Narkose zur Beatmung reingeschoben haben. Sonst geht’s eigentlich. Ich sitze hier, einen Tag nach meiner OP auf dem Bett. Es ist so unnötig Halsschmerzen zu haben, denke ich mir. Im März habe ich eine Schulung für ehrenamtliche Sanitäter besucht und das neue Modell kennen gelernt. Mit dem I-Gel, der neuen Generation der supraglottischen Atemhilfe ohne aufblassbaren Cuff wird das Risiko eines Gewebetraumas reduziert. Also – super unnötig, meine Halsschmerzen.
Vorgestern Abend stand ich in unserem Badezimmer und habe mir Zeit genommen, ein letztes Mal vor dem Eingriff in mich hinein zu spüren. Mit auf dem Herzen gefalteten Händen und geschlossenen Augen stand ich da. „Ich möchte keine weiteren Kinder.“, sagte ich laut. „Mein Sohn reicht mir.“ und „Unsere Familie ist vollständig.“ Nach jedem Satz wartete ich ab und spürte achtsam, wie der Sog der Zustimmung meinen Körper sanft nach vorne schob. Ich war aufgeregt und trotzdem konnte ich gut schlafen in dieser Nacht, meine Entscheidung stand.
Aber eins nach dem Anderen.
„Was ist die Kehrseite Ihrer Entscheidung?“, fragte mich meine Therapeutin vor einigen Wochen, „Verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte Ihnen nichts ausreden. Ich finde es nur wichtig, auch diesen Teil bewusst zu machen.“ Sie blickte mich an mit ihrem freundlichen, aufmerksamen Therapeutenblick. Ich wurde nachdenklich. „Sie wissen, ich habe keine gute Beziehung zu meinem Bruder. Wenn ich jetzt ein zweites Kind kriegen würde, dann wäre der Altersabstand ähnlich.“ Ich kämpfte mit den Tränen, fuhr aber fort: “Dann hätte mein Sohn ein Geschwisterchen und zu sehen wie sie sich lieben, könnte ein bisschen wieder gut machen.“ Ich schüttelte den Kopf, „Aber es garantiert mir ja keiner. Niemand verspricht mir, dass diese Geschwisterliebe kommen wird. Ich wünsche mir eine Geburt, die nicht so schmerzhaft und traumatisierend wird wie die letzte, aber auch das kann mir keiner versprechen. Und ob ich danach wieder eine Krankheitsphase habe, steht in den Sternen. Dieses Risiko bewusst in Kauf zu nehmen, das würde ich mir meinem Kleinen gegenüber nie verzeihen“ Ich zwirbelte an meiner Sweatjacke. „Wenn ich wirklich einen Kinderwunsch hätte“, überlegte ich laut, „dann würde ich das vielleicht sogar auf mich nehmen. Ich würde mich mit einem Psychiater zusammensetzen und gemeinsam einen Weg finden, das Ganze trotz meiner bipolaren Störung zu bewältigen“, meine Augen suchten Blickkontakt, „aber den habe ich nicht. Ich kann mit Babys nichts anfangen. Ich möchte meine Stabilität erhalten, beruflich weiterkommen und mein Leben mit meiner wundervollen Familie genießen. Für meinen Sohn da sein.“ Damit war alles gesagt. Ich verließ diese Therapiesitzung mit mir im Reinen, es arbeitete aber auch noch in mir weiter.
Es waren zu dem Zeitpunkt noch gute zwei Wochen bis zu der Sterilisationsoperation. Bis dahin hatte ich mich noch mit meiner Frauenärztin zwecks einer Überweisung zusammengesetzt und mit meiner Therapeutin ein Schreiben fertig gestellt, um die medizinische Notwendigkeit für die Kostenübernahme der Krankenkasse zu formulieren. Ein Vorgespräch in der Tagesklinik war nicht nötig, da ich den Termin schon vor anderthalb Jahren dort geplant hatte und dieser nur aufgrund von Umständen aufgeschoben war.
Es gab mir zu denken, dass meine Therapeutin auf meinen Wunsch nach Wiedergutmachung erwiderte, ich hätte nahezu einen Zwang, alles zu reparieren. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, hat sie recht. Ständig versuche ich einen Sinn zu finden, zu heilen und alles gerade zu rücken. Es ist aber vorbei. Alles was war ist geschehen und kann nicht im Nachhinein durch neue Entscheidungen geändert werden. Und wenn sie noch so gut und heilsam sind. Sie haben lediglich Einfluss auf meine Zukunft. Die Löcher in meiner Kindheit, alles was mir passiert ist, die Parentifizierung, Narzissmus, die kaputte Beziehung zu meinem Bruder und sein Scheitern am Leben, das kann ich nicht rückgängig machen. Und es wäre ganz schön viel Verantwortung für ein Zweitgeborenes, da, wenn auch nur in Teilen, für eine Heilung zu sorgen. Alles was ich tun kann, ist loslassen. Nach vorne schauen und mein Leben leben. „Freiheit ist mein Geburtsrecht“, steht auf einer Affirmationskarte, welche ich immer wieder hervorhole. Langsam beginne ich zu begreifen, was sie bedeutet.
Vertrauen schaffen
Cornelia Burmeister aus der Zwielicht Redaktion
Leider gibt es Menschen, die es im Leben nicht leicht haben. Menschen, die durch gewisse Lebensumstände nicht mehr richtig oder gar nicht vertrauen können. Die Hintergründe dafür sind sehr vielfältig. Das ist hier auch nicht so wichtig. Diese Probleme gehören in die Hand eines erfahrenen Therapeuten. Es würde hier auch dem Rahmen sprengen, wie und warum sich Menschen so entwickelt haben.
Eher ist es wichtig, diesen Menschen zu helfen, wieder Vertrauen zu schaffen. Wer wiederholt immer wieder unangenehme Erfahrungen damit gemacht hat, kann oder möchte niemanden mehr vertrauen. Dieses dient dem Selbstschutz und ist in einer akuten Phase auch angemessen.
Doch diese akute Phase endet auch mal wieder. Nun könnte man ja wieder neues Vertrauen aufbauen. Oft bleibt es aber dabei, dass Menschen “zu machen“. Sich von allem abschotten. Hier ist es wirklich toll, dass es Menschen gibt, die einen da wieder raushelfen.
So ist es mir passiert. Es gab da einige Punkte in meinem Leben, die es mir nicht mehr ermöglichten, anderen zu vertrauen. So schloss ich mich einer speziellen Freizeitgruppe an. Ich wollte nicht mehr allein sein.
Diese Leute bemerkten mein Problem und haben mich “geärgert“, bis ich lachen musste.
Es ist eine Gruppe, in der wirklich alles offen besprochen wird, es gibt kein Tabu. Genau das hat bei mir bewirkt, dass ich wieder Vertrauen konnte. Es ging nicht schnell, aber Schritt für Schritt kam ich aus meinem dunklen Loch wieder raus. Diese Menschen werden selbst schief angeschaut, wie man in unserer Gesellschaft sagt. Sie sind anders, ja, werden auch nicht von jedem akzeptiert. Aber sie haben mir geholfen und nur das zählt.
In der Reha begegnete mir ein Physiotherapeut, der es auch schaffte, mich zum Lachen zu bringen, obwohl mir nicht danach zu Mute war. Er hat mich ebenfalls geärgert, und das, bis ich lachen musste. Das Lachen tat wirklich gut und ich lernte dort noch einige Menschen kennen. Zusammen verlebten wir eine wirklich schöne Zeit. Dieser “böse Physiotherapeut“ war oft unser Gesprächsthema und es wurde wiederum gelacht. In einer Gruppe fällt vieles leichter. Gib nicht auf! Es lohnt sich und es kommen auch wieder bessere Tage.
Bericht einer Teilnehmerin · Traumreise
Stellt euch vor, ihr seid ganz gut auf eurem Weg, gefestigt und es läuft einiges rund.
Trotzdem seid ihr in einer Dunkelheit, ihr seid auf einem Weg, ohne die Abzweigungen zu bemerken, es ist dunkel und der Weg ist lang.
Es läuft ganz gut, aber immer ähnlich, und bei jeder Abzweigung seht ihr etwas beleuchtet, ihr seht was machbar wäre, was erreichbar ist.
Ihr seid schon ziemlich weit gekommen und zufrieden, aber irgendwie fehlt etwas, ihr wollt dem Erlebten noch immer einen Platz in eurem Leben geben, aber dieses Mal so, dass es einen Sinn macht, dass es hilfreich ist, ihr vielleicht sogar nützlich sein könnt mit eurer Erfahrung.
Manchmal seht ihr eine Freundin auf einen Kaffee, diese arbeitet in einer Psychiatrie und erzählt euch von ihren Erfahrungen, und auf einmal wird euer Herz warm, ihr wollt auch so eine Arbeit machen, aber wie?
Für ein Studium ist es auch irgendwie schon zu spät, und außerdem wollt ihr schnell in solch einem tollen Berufsfeld arbeiten, ihr erzählt eurer Freundin von diesem utopischen Wunsch.
Hier bei einem leckeren Kaffee erfahrt ihr das erste Mal von EX-IN, in der Klinik eurer Freundin sind Genesungsbegleiter angestellt, und eure Freundin kann euch einiges über die Weiterbildung erzählen.
Plötzlich leuchten die Abzweigungen in eurem Tunnel auf eurem geraden Weg heller, das Erreichbare, das Mögliche drängt sich förmlich auf, während ihr euren Weg entlang geht.
Aber es gab natürlich immer einen guten Grund, wieso ihr nicht längst mal an einer Abzweigung abgebogen seid. Ihr wisst, dass ihr eigentlich ganz gut in sowas seid, und wisst auch was ihr könnt, kennt sogar eure Grenzen. Aber trotzdem gab es viele Hinderungsgründe abzubiegen und etwas neues, Gewichtiges auszuprobieren. Da meldeten sich Gedanken wie „das ist zu kompliziert“, und „was wäre wenn“, dann Glaubenssätze wie „das funktioniert sowieso nicht“, und „das nimmt eigentlich viel zu viel Zeit in Anspruch.“ Allem voran: „was ist, wenn ich das doch nicht so gut kann, und dann alles umsonst wäre …?“
Aber das Gespräch beim Kaffee, es blieb euch im Gedächtnis, ihr habt angefangen zu recherchieren, euch die Ex-In Weiterbildung immer mehr zuzutrauen, und schlussendlich habt ihr eine Bewerbung und einen Krisenlebenslauf geschrieben.
Ihr habt euch natürlich gefragt, ob das alles nicht viel zu privat, viel zu ausführlich ist, was ihr dort preisgegeben habt. Es kamen wieder Zweifel: Bekomme ich überhaupt eine Einladung zur Bewerberrunde?
Der Zweifel kam nicht mehr oft und die Einladung relativ zügig.
Die Bewerberrunde steht bevor, ganz einfache Fragen wie „was soll ich nur anziehen“ und „welchen Menschen begegne ich dort?“ begleiten euch schon den Abend zuvor, und ließen euch kaum ein Auge zutun.
Bei der Bewerberrunde kam direkt etwas, was ihr selbst eigentlich nicht so gerne macht, Gruppenarbeit. Lieber arbeitet ihr allein, zumindest ist das zu dem Zeitpunkt noch so gewesen. Bei der Rückmeldung, es war ein Reflecting Team, war euch mulmig zumute, und ihr musstet mal wieder kompensieren, wie es mit eurer Wertschätzung euch selbst gegenüber so steht.
Aber der Tag war geschafft, eine Rückmeldung zur nächsten Woche zugesichert. Ihr wart ziemlich sicher, das war gut gelaufen; nur ein wenig Zweifel bezüglich der Bewerberzahl und der viel weniger zu vergebenen Plätze blieb.
In den zwei Wochen darauf kam keine Rückmeldung wie erwartet, ihr wurdet nervös, unruhig, und euer Gewissen meldete sich: Was, wenn ich lieber nicht die Abzweigung hätte gehen sollen? Was, wenn ich Recht hatte, dass es doch eh wieder nichts wird? Was, wenn ich es besser nicht hätte ausprobieren sollen? Und die Woche darauf: Die nehmen mich nicht, das ist jetzt klar.
So schnell geht es von selbstsicher und dem Gefühl, dass es gut lief, zu: Es lief doch nicht so ganz gut und das wird nichts. Kurz darauf kam dann der Brief, ihr habt den Platz für die Weiterbildung bekommen, obwohl euch doch schon klar war, das kann nichts mehr werden. Ihr wisst bis heute noch nicht so ganz genau, ob ihr vielleicht den Brief bekamt, weil jemand anderes absagte, aber das ist heute völlig egal, denn ihr steht nun an einem ganz anderen Punkt, als zu der damaligen Zeit. Es ist einfach nicht mehr wichtig, aus welchen Gründen nun die Zusage kam. Wichtig für eure Selbstachtung, Selbstwahrnehmung und die Zuversicht, dass die Dinge gelingen werden, war die Zusage, und das Begehen dieses Kurses war Gold wert.
Als ihr zu eurem ersten Modul vom EX-IN Kurs gefahren seid, wusstet ihr kaum, was euch erwarten würde. Ihr wart unglaublich nervös; und ehrlich gesagt war es euch ein Rätsel, wie es funktionieren soll, von Morgens um neun bis Nachmittags um siebzehn Uhr Unterricht in einer großen Gruppe durchzuhalten. Mal wieder überkam euch das Gefühl, dass ihr euch zuviel vorgenommen habt, dass ihr einen Fehler gemacht habt, diese Weiterbildung anzustreben. Fühlt ihr euch auch noch so fähig für diese Tätigkeit, so fragt ihr euch trotzdem, ob so viele Stunden zuhören, sich einlassen, Gruppenarbeit, wie auch Gruppendynamik, euch zuträglich sein werden.
Aber dies konntet ihr nur herausfinden, indem ihr es erlebt.
Das erste Modul: Viele Menschen, viele Eindrücke und jeder sucht noch seinen Platz, Vorstellungsrunden und Spiele, und auch Gruppenarbeiten wechselten sich ab. Ihr seid erst mal sehr angespannt und denkt schon daran, in der Pause in das nette Restaurant zu gehen, das ihr auf dem Hinweg gesehen habt. Und ihr seid dort tatsächlich hingegangen, aber nicht allein, eine andere Kursteilnehmerin hat euch begleitet, und es war wirklich echt nett gewesen.
Wie von Zauberhand war man unter diesen ganz neuen Gesichtern gar nicht so fremd, was ihr wiederum befremdlich fandet, aber es war so.
Es gab eine besondere Dynamik, man könnte fast schon sagen Verbindung miteinander. Es war nicht unangenehm, zumindest nicht so, wie es von euch erwartet wurde. Es gab keine unangenehmen Gesprächspausen, und selbst die Gruppenarbeiten waren schon in den ersten drei Tagen wirklich super und die Teilnehmer direkt vertraut untereinander. Da war irgendwie sowas wie ein Spirit, den ihr so noch nicht kanntet.
Und nachdem die ersten Tage geschafft waren, wart ihr es auch, aber so richtig. Doch ihr habt gemerkt, dass ihr etwas, was euch noch am Anfang der Woche fast unmöglich erschien, wirklich schon mit Leichtigkeit geschafft habt, auch wenn ihr danach erstmal erschöpft wart.
Es folgten weitere Module, Gruppenarbeiten, die Wahl der Portfolio und Supervisionsgruppen. Die Gruppendynamik war irgendwie besonders und ihr wusstet schon genau mit welchen Teilnehmern ihr durch den Kurs gehen wolltet, Portfolio und andere Sorgen teilen wolltet.
Zu Beginn dachtet ihr, dass ihr die Inhalte schon kennen werdet und, naja, nicht allzu viel Neues dazu lernen werdet, und zum Teil mag dies auch jetzt zum Ende noch so sein. Was allerdings wirklich passiert ist, ist sowas wie dass ihr neu seid, ja das hört sich komisch an. Aber es ist mit euch etwas passiert während dieses Kurses.
Ihr habt Handwerkszeug an die Hand bekommen, welches euch ein neues Gefühl von Sicherheit für die Tätigkeit gegeben hat. Es gab Module, da seid ihr an eure Grenzen gekommen und über euch hinaus gewachsen, vielleicht sogar ohne dass dies ein anderer bemerkt hätte, außer ihr selbst.
Da war diese eine Übung, die werdet ihr nie vergessen, zum Reflecting Team. Ihr wart so überrascht, gerührt, verwundert, aber am Ende des Tages war diese Erfahrung etwas Wunderbares.
So etwas war euch noch nie passiert, ihr habt eure Begriffe vorgelesen zu eurer Recovery-Geschichte, und andere Kursteilnehmer haben im Reflecting Team darüber gesprochen. Für euch war es fast nicht auszuhalten zu hören wie eure Begriffe verstanden wurden, wieviel Verständnis und Erkennen bei den anderen Teilnehmern zu hören war. Ihr wart gerührt und berührt zur gleichen Zeit und konntet die Tränen nicht zurück halten. Ja, so etwas war euch noch nie zuvor geschehen, und ihr wusstet auch nicht, dass eure vergangene Geschichte überhaupt noch irgendetwas in euch bewegen konnte.
Dann waren da die vielen Momente, wo ihr vom Ich- zum Wir-Wissen gelangt seid. Auch damit habt ihr nicht gerechnet, soetwas gibt es nicht in Lehrbüchern, und auch hier gab es eine Bereicherung eures Wissens, mit der ihr zu Beginn des Kurses nicht gerechnet hattet.
Es gab einfach Erfahrungen, mit denen hättet ihr vor diesem Kurs sehr wenig bis gar nichts anfangen können, dies hat sich dank der vielfältigen und offenen Beiträge der Kursteilnehmer gewendet, und es überkommt euch immer wieder eine Dankbarkeit dafür, mit wieviel Mut und Offenheit die Teilnehmer dabei waren.
Nach einigen Modulen wart ihr aber immer noch nicht ganz sicher, was genau ihr eigentlich besonders gut anbieten könntet, wo eure besonderen Fertigkeiten liegen, welche Ressourcen für eure Arbeit am nützlichsten sein würden.
Dies änderte sich spätestens nach dem ersten Praktikum, welches euch darin bestärkt hat, dass ihr viel mehr anzubieten habt, als ihr euch selbst zugestehen wolltet. Die Erfahrungen, die ihr dort gemacht habt, waren einzigartig und neu für euch. Ihr wurdet anerkannt, eure Erfahrungen absolut wertgeschätzt. Dies war ein besonderer Wendepunkt in eurer Weiterbildung.
Ihr habt euch immer sicherer gefühlt, nach und nach. Wusstet immer intuitiver, wo und wie ihr hilfreich sein könnt, in welchen Bereichen ihr euch für die spätere Zukunft arbeitstechnisch seht. Spätestens, als ihr zum Trialog ein Familienmitglied eingeladen habt, wurde euch klar, dass eure Befürchtungen, die euch ständig vor allem Neuen was ihr ausprobiert habt, begleiteten, absolut unnötig sind.
Auch beim Angehen eures Portfolios ist dies immer wieder zu Tage getreten: alle Befürchtungen waren nur dies, sie haben sich nicht einmal bewahrheitet.
Wenn ihr erst einmal den Anfang gemacht habt, und da war es nach eurer nun neuen Erfahrung ganz egal, um was es ging, dann gelang es euch auch. Und diese Erkenntnis ist wahrscheinlich eine der wichtigsten, die ihr durch die EX-IN Weiterbildung erlangt habt.
Ihr wisst nun ganz genau, wo eure Stärken liegen. Ihr habt Träume davon, eigene Recovery Gruppen anzubieten, würdet euch auch vorstellen können, einen Trialog mit zu betreuen, habt tolle Ideen bezüglich des ressourcenorientierten Arbeitens mit Klienten und habt bei den Gedanken daran nicht einmal mehr die Befürchtung, ihr könntet dies nicht schaffen oder gar versagen. Diese negativen Glaubenssätze, von frühester Kindheit an geprägt, sind bezüglich eures eigenen Vorankommens in der Gesellschaft einfach nicht mehr vorhanden.
Nun seid ihr am Ende eures Weiterbildungskurses und ihr fragt euch, was es jetzt vielleicht noch wichtiges zu sagen gibt, was bleibt, was ungesagt ist?
Vielleicht würdet ihr denen, die sich noch fragen, ob sie so etwas schaffen können, ob sie die Kraft und den Mut haben, die Ressourcen so einen Kurs und auch die Arbeit, die danach damit verbunden ist, zu meistern, sagen wollen: versucht es, seid mutig, vergesst eure negativen Glaubenssätze und kommt ins Tun, denn jeder Versuch, jede Abbiegung ist es Wert, genommen zu werden …
Vielleicht würdet ihr aber auch einfach nur Danke sagen, danke für diese Möglichkeit, in der ihr euch selbst neu kennenlernen durftet, aber auch lernen durftet, wie ihr mit euren gemachten Erfahrungen und gemeisterten Krisen anderen Menschen Hoffnung geben könnt und ihnen auf ihrem Genesungsweg hilfreich zur Seite stehen könnt.
EX-IN Interview mit Madeline
17.02.2024
Madeline, eine junge engagierte Frau Anfang dreißig war vor der Schulung trotz Ehrgeiz noch nie in einem Arbeitsverhältnis tätig. Sie studierte vier Jahre lang Kommunikations- und Medienwissenschaften, sowie Germanistik. Kurz vor Ihrem Bachelor ging es nicht mehr weiter und sie nahm ihre erste Therapie in Angriff. Gestärkt absolvierte sie berufliche Maßnahmen und begann im August 2018 eine Heilpraktiker Ausbildung. Im Mai 2020 kam der Rückschlag, in der Corona Pandemie litt sie unter einer schweren Krise und musste auch diesen Bildungsweg verlassen. Auch wenn sie beruflich viel einstecken musste, gesundheitlich konnte sie sich stabilisieren und von den Therapien profitieren. Im Rahmen der integrierten Versorgung (IVP) bekam sie eine Genehmigung für eine dreijährige, konstante Begleitung durch die ambulante psychiatrische Pflege. Ihre Bezugspflegefachkraft baute sie weiter auf und arbeitete recoveryorientiert mit ihr. Das heißt, gemeinsam schauten sie auf ihre Resilienz, also Widerstandsfähigkeit, Selbstwirksamkeit und Autonomie, und fügten die Bausteine, die Madeline brauchte, zusammen. Er war es auch, der die Schulung zur EX-In Genesungsbegleiterin vorschlug. „Dann könnte ich meine Krise nicht als Hindernis, sondern als Chance sehen“, erinnerte sie sich positiv an diesen Gedanken.
Sie bewarb sich, nahm an der Informationsveranstaltung teil und freute sich über die Einladung zum Bewerbungsgespräch. Dort wurde ihr zu viert mit weiteren Bewerbenden eine Gruppenaufgabe gestellt. „Wir wurden von den Leitern beobachtet, wie wir uns machten. Das hat mich verunsichert. Es war komisch und hat mich unter Druck gesetzt. Dass ich das gut meistern konnte, hat mich wiederum stolz gemacht!“, erzählte sie mir.
Madeline konnte sich durchsetzen und begann schon bald ihren Weg als angehende Genesungsbegleiterin. Ganz besonders waren für sie die Selbsterforschungsvorträge, in welchen die Teilnehmenden ihre Krisenerfahrung, sowie ihren individuellen Weg der Genesung vortrugen. „Ich war immer sehr sprachlos in meiner Krise“, sagte sie mir, „wie ein Schleier der Sprachlosigkeit…“ Die neue Aufgabe brachte eine Wendung: „Auf einmal konnte ich meine Geschichte vortragen. Ich war ja quasi gezwungen und musste mich überwinden. Ich bemerkte, dass ich meine Kreativität dabei ausleben kann. Ich mag sehr gerne schreiben, das konnte ich damit verbinden. Ich konnte meine Geschichte ausdrücken, wie das gut für mich war.“ Zuletzt hatte Madeline sogar Spaß daran gehabt und sie war sehr zufrieden mit ihrem Ergebnis. Ich selbst erinnere mich auch lebhaft an den spannenden Einstieg, den sie mit dem Videomaterial ihrer Katzen schuf. Sie bereitete eine Aufnahme vor, in welcher sie ihren Katzen von sich erzählte. Es war wirklich herzerwärmend und verdeutlichte ihren innigen Bezug zu den Tieren.
Reflektierend schaute die ehemalige Kursteilnehmerin zurück auf ihren Werdegang vor der Schulung. „Ich bin immer unter meinen eigenen Ansprüchen gewesen, vielleicht waren sie unrealistisch oder zu hoch.“, äußerte sie nachdenklich, und: „Die Struktur beim Studieren hat eigentlich gar nicht zu mir gepasst, ich brauche mehr Struktur zum Lernen.“ – „War denn die Struktur in der Schulung zur EX-IN Genesungsbegleitung gut?“, fragte ich zurück. Madeline meinte: „Auf der einen Seite ja. Es war gut für mich, dass zwischen den geballten Modulen auch viel freie Zeit war. Beim Schreiben des Portfolios gab es aber auch die Möglichkeit zu prokrastinieren. Da war es nicht vorgegeben, wann ich es schreiben musste. Da hieß es dranbleiben und nicht in Antriebslosigkeit verfallen. Das war stressig, aber hat funktioniert und ich bin daran gewachsen.“ In dem Portfolio entdeckte sie für sich eine bewusstere, neue Art zu reflektieren.
Und wie siehts jetzt aus? Es hat sich für sie die Chance ergeben bei dem Pflegedienst einzusteigen, wo sie selbst betreut wurde, wie eingangs erwähnt. Da sie dort bis zum Mai 2023 in ambulanter Behandlung war und ihr Vertrag im Juli 2023 begann, fühlte sich der Anfang komisch an. Vorab hatte sie allerdings auch schon im Rahmen der Schulung ihr Praktikum dort absolviert, so wusste sie, worauf sie sich einließ. Trotzdem, es war ihr erster Job in ihrem Leben, sie fing von jetzt auf gleich mit sechs Stunden täglich an. „Da musste ich mich durchbeißen!“, sagte sie und fügte stolz hinzu, dass sie drangeblieben ist. Sie erzählte positiv über ihr Arbeitsverhältnis: „Meine Kollegen gehen sehr wertschätzend mit mir um und vermitteln mir, welche wertvolle Rolle die meinige im Pflegedienst ist.“ Sie würde auch nicht nur reine ‚Genesungsbegleiter-Aufgaben‘ leisten, sondern ihre Tätigkeit wäre schon ähnlich, wie die ihrer als Pflegefachkraft ausgebildeten Kollegen. „Das gefällt mir aber auch, denn es wird mir zugetraut“, drückte sie aus. Anhand ihrer Schilderungen in unserem Gespräch, hatte ich den Eindruck, dass sie sich dort sehr wohl fühlte. Nach jahrelanger Suche fand sie augenscheinlich eine berufliche Perspektive, in welcher sie für ihre Leistung anerkannt und geschätzt wurde und wird. Madeline wurde als Pflegehelfer*in eingestuft, da es keinen Tarif für Genesungsbegleiter*innen gäbe.
Die wirtschaftliche Etablierung der Berufsgruppe auf einen festen, die intensive Leistung würdigenden Platz, erfordert wohl noch Zeit und Engagement. Bei einschlägigen Praktika ist es in vielen Berufen möglich, die Ausbildung zu verkürzen und am Ende eine vollwertige Arbeitskraft in dem Bereich zu sein. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass Erfahrungswissen den Stellenwert erfährt, den es de facto bei der Behandlung von Menschen mit psychischer Erkrankung hat. Aber ich schweife ab.
„Was ist für Dich herausfordernd an deiner Arbeit?“, möchte ich von Madeline wissen. „Die Herausforderung ist, dass ich täglich mit Problemen konfrontiert bin, die mich in meiner eigenen Krisenerfahrung betreffen. Ich muss mich immer wieder mit meinen eigenen Themen beschäftigen. Es ist aber auch schön, wenn man dann Fortschritte bei seinen Klienten sieht.“ Nebenberuflich würde sie außerdem noch als Recovery Coach dozieren. Das heißt sie gibt im Tandem mit ihrem Kollegen aus dem Pflegedienst Fortbildungen für Fachkräfte aus dem psychiatrischen Bereich und erzählt in dem Rahmen auch aus ihrer Geschichte. Als ich ausdrückte, dass ich das beeindruckend finde, winkte sie ab. Das sei gar nicht so schwer, sie würde sich nur Druck machen aufgrund ihres Respekts vor dem Berufsstand der Teilnehmer*innen. „Da möchte ich noch an meinen Erwartungen und Ansprüchen arbeiten und weniger unterscheiden“, merkte sie an, „ob Franz Josef von nebenan da sitzt oder ein angesehener Chefarzt, da möchte ich keine Unterschiede machen.“ Da kann ich nur zustimmend schmunzeln. Und ein Wort zum Schluss? „Ich möchte die Fahne der Hoffnung immer oben halten!“ Dafür Danke, liebe Madeline.
EX-IN Interview mit Alex
20.02.2024
Alex war in der Tagesstätte Klamottencafé gerade im Begriff eine Selbsthilfegruppe zu gründen, als sier* dabei im Austausch von EX-IN erfahren hatte. Zu dem Zeitpunkt war sier arbeitssuchend. Sier hatte zweimal versucht zu studieren, auch eine Ausbildung kam trotz Bewerbungen nicht zustande. Das Arbeitsamt übte Druck aus, sier schlug die EX-IN Fortbildung vor. Im Grunde wusste sier anfangs nicht genau, worauf sier sich eingelassen hatte. Auch das Arbeiten im dualen Modell hätte sier „einfach mal gemacht“. Das bedeutet, dass sier anstelle von den Praktika ab dem 6. Modul parallel zur Schulung fest als Genesungsbegleiter*in arbeitete.
Siene Kapazitäten wie Emotionsverarbeitung und Stressregulierung befand sier durch die plötzliche Doppelbelastung als extrem geprüft. „Überwältigend“, war das Wort, welches Alex für diese Erfahrung fand. Auch heute noch wäre das so, nur könne sier inzwischen besser damit umgehen. Zur Schulung an sich sagte sier: „Es war schon eher die Atmosphäre einer Selbsthilfegruppe. Ich hatte das Gefühl unter Peers zu sein. Das ist ein schönes Gefühl, nicht fremd zu sein, sondern dazu zu gehören.“ Bezogen auf sienen Werdegang gab sier sich gelassen. „Ich war da, weil ich da sein wollte, nicht weil ich musste. Ich hatte dabei keinen Karriereweg vor Augen.“
Siener Tätigkeit in der Psychiatrie geht Alex inzwischen an 4 Tagen wöchentlich für je sechs Stunden nach. Nachdenklich berichtete sier: „Das psychiatrische System macht weniger Leute gesund als es könnte, das ist ein systematisches Problem. Hier zu sein in der Psychiatrie kann für die Patienten eher belastend als hilfreich sein, weil sie in den Mehrbettzimmern zum Beispiel schlechter schlafen.“ – „Warum arbeitest Du denn da überhaupt, wenn Du das so empfindest?“, fragte ich zurück. Sier überlegte und antwortete: „Ich bin mit der Frage noch nicht fertig. Ich habe mich auch schon bei der Fürsprache beworben, aber ich habe noch Möglichkeiten meine Arbeit hier zu gestalten. Ich möchte nicht weggucken, wenn etwas wirklich schrecklich ist, ich möchte dann was tun und dranbleiben. Man kann sich ja weit davon entfernen, ich finde das legitim, aber es scheint für mich keine Option zu sein.“ Mich bewegte während des Interviews, mit wieviel Herzblut sier sich engagierte. „Ich bin da wirksam“, schilderte sier, „Ich habe den Anspruch, die Hoffnung, das System zu verbessern. Es gibt Momente, wo es voran geht! Netzwerken finde ich wichtig, deswegen bin ich auch in der EX-IN Orga Gruppe.“ Alex merkte an: „Wir arbeiten mit unserem Erfahrungswissen, aber ich finde es ist mehr: Wir können Fortbildungen geben, uns für Menschenrechte einsetzen und haben vielfältige Möglichkeiten. Ich finde Genesungsbegleitung als Berufsfeld sehr spannend. Mein Arbeitsfeld auf Akutstation ist aber sehr fordernd, das würde ich den Wenigsten raten.“ Bei siener Aussage, sier wäre da irgendwie reingerutscht und hängen geblieben, zumindest anderthalb Jahre, musste ich ein wenig schmunzeln. Ich finde es erstaunlich, wie nachdenklich, in komplexen Zusammenhängen denkend, und zugleich spontan dieser Mensch ist. „Wie passt Du auf Dich auf?“, wollte ich wissen und prompt antwortete sier: „Ich benutze die Werkzeuge, die ich versuche den Patienten auf Station beizubringen. Skills, Atemtechniken, Sinnesreize, Ressourcensäulen, Verbindung zu Kolleg*innen, Partnerschaft, gute Ernährung, Sport, Schlaf, manchmal auch Medikation, Abwechslung in meiner Tätigkeit schaffen.“ – „Ressourcensäulen?“ – „Ja genau, die haben wir in der Schulung behandelt. Das habe ich mitgenommen.“
Ressourcensäulen werden auch Lebenssäulen genannt, ich habe hier mal einen kleinen Exkurs für Euch:
„Das Modell der Lebenssäulen zeigt eine von vielen möglichen Perspektiven auf uns selbst. Sie lädt dazu ein, uns vielfältig aufzustellen, unsere Interessen weit zu fächern, uns mit vielen Menschen und unterschiedlichen Tätigkeiten zu befassen, uns Ruhe und Gelassenheit zu gönnen.“ Zitat Folie 28, Material aus der EX-IN Schulung Bremen, Modul Krisenintervision
Zurück zu Alex. Die Lebenssäulen gegenwärtig zu haben, sind für sien nur eine Möglichkeit, sich stark aufzustellen. Sier betonte noch einmal das Netzwerken, erwähnte den Kontakt zur deutschen Gesellschaft für Sozialpsychiatrie, die Gremien von der Senatorin für Gesundheit, Recoverygruppen, die EX-IN Niedersachsen Gruppe und den Arbeitskreis neue Psychiatrie Bremer Westen. Interessant fände sier auch die „Open Dialog“ Fortbildung von Fokus, welche siem der Arbeitgeber finanzieren würde. „Wenn ich mehr Freizeit brauche, nehme ich mir die auch“, erwähnte sier und reflektierte: „Es gab auch mal einen Belastungshöhepunkt. Leute um mich herum kamen in Krisen, es gab beruflichen Stress. Ich habe gemerkt, dass ich mehr Ruhe brauche und meine Grenzen eine Zeit lang überschritten habe. Da habe ich Verpflichtungen abgelehnt und konnte für mich sorgen.“
„Was hast Du eigentlich noch so mitgenommen aus der Schulungszeit?“, bat ich um Ergänzungen. „Der Input aus der Schulung hat meine Arbeitsweise auf Station beeinflusst“, blickte Alex zurück, „Ich greife auf die Materialien immer noch zurück. Die Deeskalationsschulung von Nika, einer geschulten Mitarbeiterin von Fokus, hat mir auch viel gebracht.“ Kritisch äußerte sier: „Es sind aber auch Sachen verloren gegangen. Manchmal kommt es mir so vor, als wäre das hier in der Psychiatrie nicht der richtige Ort für Recovery. Die Leute in der Krise brauchen handfeste Hilfe, nicht nur Hilfe zur Selbsthilfe. Die Umgebung macht viel kaputt. Ich würde gerne mehr bewirken mit Recovery, der Sprung von der Theorie in die Praxis ist hier besonders weit. Ich bin relativ ungeduldig.“ Zum Schluss erinnerte sier mich an einen sehr schönen Inhalt, welchen wir gelernt haben: Being With. Dabei sein, zuhören, akzeptieren, nicht in die Aktion gehen oder Ratschläge geben. Einfach nur die menschliche, warme, Anwesenheit geben. „Danke, dass Du das Gespräch trotz Deiner Arbeitszeit einrichten konntest!“ – „Gerne. Das bringt Abwechslung rein und ist somit Teil meiner Selbstfürsorge!“
*Was bedeutet das Pronomen Sier?
Zu den weiblichen Pronomen gehören „sie/ihr“ (she/her). Menschen, die sich von der männlichen oder weiblichen Form nicht angesprochen fühlen, verwenden zum Beispiel „they/them“. Im Deutschen kannst du zum Beispiel auch „xier“ oder „sier“ benutzen. Weiterführende Infos findest Du auch unter https://geschlechtsneutral.net/pronomen/
EX-IN Interview mit Herrn D.
29.01.2024
Das heutige Interview führte ich mit Herrn D. (Name geändert), einen lebensfrohen, freundlichen mittvierziger Kumpeltyp, welcher in der Psychiatrie auf einer vollstationären Therapiestation arbeitet. Vorwiegend hat er mit Betroffenen von Psychosen, Depressionen und Traumata zu tun. Seine Angebote sind offene Gesprächsgruppen, das Durchführen einer Schwimmgruppe und einer Kochgruppe. Er sei des Weiteren offen für Gespräche und Spaziergänge. „Da sein“, sagte er, „ist meine Aufgabe, zur Verfügung stehen und auch mal ein ‚Frustableiter‘ sein.“ In der Klinik musste er sich anfangs sehr dafür einsetzen, ernst genommen zu werden. Beispielsweise tauschten sich die Psychologen lieber untereinander aus, statt seiner Perspektive Raum zu geben. Er nehme zwar an Teamsitzungen teil, aber nicht an Aufnahmegesprächen und Fallbesprechungen. Sein Einsatz lohne sich aber – nachträglich erfuhr ich, dass er inzwischen an den Behandlungsplanungen mitwirken würde.
Ein anderer Punkt ist die wirtschaftliche Anerkennung. Aufgrund seiner Gehaltsstufe reduzierte Herr D. daher kürzlich von 30 auf 20 Stunden, um in anderen Bereichen eine für sich finanziell bessere Entlohnung zu erreichen. Seit Kurzem würde er für den Maiboomshof der AWO arbeiten, dies sei eine gerontopsychiatrische Wiedereingliederungsanstalt, dort gestaltet er für 6 Stunden mit den „super netten, älteren Menschen“ die Sonntage. „Da fühle ich mich wohl“, äußerte er. Auch neu sei für ihn die baldige Tätigkeit bei der Fürsprache für 10 Stunden wöchentlich. Die Stellenausschreibung habe er auf der Webseite gefunden. Der Start war etwas holperig, da seine neue Arbeitskollegin ihn aus der Krise kannte und anfangs kritisch war. Inzwischen wäre sie überzeugt und er freut sich auf den neuen Arbeitsbereich. So, wie Herr D. seine Tätigkeit nun strukturiert hat, kann er von seiner Arbeit leben. Ich finde drei Jobs in dem oft auch emotional intensivem Bereich anspruchsvoll und ziehe den Hut, Herr D. ist aber zuversichtlich das zu schaffen. Die Arbeit würde ihm auch viel geben. „Wenn ich einem Patienten ein Grinsen oder Lachen ins Gesicht zaubern kann, ist mein Tag schon erfüllt“, sagte er herzlich.
Herr D. erzählte: „Vor der Schulung war ich jahrelang Erwerbsunfähigkeitsrentner, schon mit 25, also fast 20 Jahre keine Arbeit.“ Er habe eine Zeitlang ehrenamtlich mit Aufwandsentschädigung im Kaffeeklatsch gearbeitet, dies sei eine Inklusionsstelle gewesen. „In der Schulung war ich erst skeptisch, ob ich das überhaupt packe“, gab er selbstkritisch zu bedenken, „mittlerweile bin ich gewachsen und habe mehr Selbstbewusstsein“ und „ich habe hinterfragt, dass ich ein schlechter Mensch bin.“ Er vertraute mir an, dass es eine Zeit in seinem Leben gab, wo er mit genau diesem Glaubenssatz umgehen musste. Er dachte sogar, er habe keine Berechtigung zu leben und versuchte sein Leben zu beenden. „Die Schulung, die therapeutische Hilfe und die Bereitschaft an mir zu arbeiten, haben dafür gesorgt, das zu hinterfragen. Ich habe mich um 180° gedreht und werde bald heiraten“, erklärte er stolz. Ihm kommen noch depressive Gedanken, aber inzwischen hätte er gelernt, sich selbst zu lieben: „Wenn es mir schlecht geht, weiß ich wie ich gegensteuere und achte auf meine Frühwarnzeichen.“
Herr D. engagiert sich ebenfalls in der regionalen EX-IN Orga Gruppe und fühlt sich auch anderweitig insgesamt gut vernetzt. Er kann seine Probleme darüber gut klären. In der Klinik gäbe es auch eine Supervisorin, diese wäre zwar engagiert, würde allerdings politisch nicht viel erreichen können.
Ein Wort zum Schluss? „Macht weiter, gebt nicht auf und kämpft. Weil ich weiß, dass es schwierig ist. Und vernetzt euch mehr und mehr!“
EX-IN Interview mit Estefania
31.01.2024
Estefania (Name geändert) befand sich vor der Schulung in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung, sie fühlte sich unsicher und abgeschnitten. „Ich bin an einen Punkt gelangt, wo es nicht mehr weiterging. Es fühlte sich an wie auf der Stelle treten“, sagte sie mir, und: „Ich hab‘ gemerkt, dass es für mich was anderes geben muss!“
Anfangs gefiel es ihr noch in der Werkstatt, sie konnte in einem Laden mit Copyshop arbeiten und fand den Kundenkontakt angenehm. Als der Anleiter plötzlich verstarb, hatte sich kein Ersatz für ihn gefunden und das Geschäft musste schließen. Estefania musste fortan Schmuck herstellen und versenden, das fühlte sich eintönig an.
Bei EX-IN bewarb sie sich mit der Hoffnung auf Veränderung, sie habe geguckt, was es noch für Möglichkeiten gibt und fand es naheliegend, etwas aus der eigenen Krisenerfahrung weiterzugeben. Sie fand die Schulung durch eigene Recherche im Internet, bei der Beantragung bei der Rentenkasse für die Kosten hatte sie Hilfe durch eine Sozialarbeiterin. Die Bewerbung verfasste sie dann wieder eigenständig. Dies war zwar herausfordernd, aber machbar.
Die junge Frau aus der Nordheide begann den Kurs mit dem festen Ziel Genesungsbegleiterin zu werden. Der Stellenmarkt war zwar knapp, aber sie hatte Zutrauen in die Entwicklung und spielte mit dem Gedanken notfalls nach Bremen zu pendeln.
„Es war eine richtig gute Erfahrung, dass das mit so vielen Leuten gut geklappt hat, sind ja auch alle unterschiedlich“, erzählte sie mir. Sie selbst sei mehr aufgetaut, als sie es von sich gewohnt war und habe sich dadurch weiterentwickelt. Nun könne sie auch in großen Gruppen arbeiten. Dass ihre Erfahrung hilfreich für Andere ist, gab ihr etwas zurück. „Ich hatte das Gefühl, ich krieg wieder was gebacken!“, sagte sie außerdem. Regelmäßiges Erscheinen, lernen, schreiben, kommunizieren, das alles zeigte ihr: „Wow, ich kann ja was!“ und „Hier bin ich gefragt!“. Estefania hatte den Eindruck, selbst steuern zu können, statt dass ihr vorgegeben wurde, was zu tun sei.
Nach Abschluss der Schulung hatte sie mehrere Vorstellungsgespräche und war motiviert. Sie absolvierte ein Praktikum bei der EUTB (Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung) und nahm dort einiges mit: Fachwissen über das Bundesteilhabegesetz, das Stellen von Pflegegrad Anträgen, verschiedene Hilfsmöglichkeiten für die unterschiedlichsten Menschen und Bedürfnisse, das Durchführen von Hausbesuchen und Beratungen im Zweierteam. Ein neues Kompetenzgefühl war entstanden. Sie wusste nun auch was sie wollte. „Die Lebenshilfe wollte mich als Alltagsbegleiterin und ich hätte meine Kompetenzen als Genesungsbegleiterin nicht einbringen dürfen. Da habe ich abgelehnt!“, zeigte sie sich selbstbewusst. In dem Kontext unterhielten wir uns auch nochmal über die Traumjobblume aus dem Kurs. Eine Dozentin hatte sie auf einem Plakat mitgebracht mit Feldern zum Ausfüllen. Die Lektion davon war, die Arbeit nach seinen Fähigkeiten zu suchen und nicht einfach alles anzunehmen.
Leider folgte dann jedoch ein gesundheitlicher Rückschlag, sodass Estefania zurzeit wieder in der Werkstatt für Menschen mit Behinderung arbeitet. Sie möchte sich, wenn es ihr besser geht, wieder bewerben und hat auch schon konkrete Pläne. Sie weiß von einer Tagesklinik aus der Nähe, dass dort zurzeit die Psychoedukationsgruppen ausfallen. Das sind Gruppen, in welchen wichtige Fertigkeiten und Wissen im Umgang mit der eigenen Erkrankung weitergegeben werden an die Patient*innen. Gern würde sie dafür sorgen, dass das wieder stattfinden kann: „Das wäre ein Herzblutprojekt für mich! Die Gruppen sind wichtig für die Rückfallprophylaxe.“
Auch ihr Arbeitsplatz in der Werkstatt für Menschen mit Behinderung habe sich verändert. „Ich rede mit den Leuten ‚ex-inlerisch‘ und setze meine Erfahrungen so ein“, erzählte sie mir. Sie müsse sich nicht mehr so stark unterordnen und nehme sich nun die Freiräume, die sie braucht. Estefania macht nun auch mal ihr Ding und kann Nein sagen. Sie sähe die Werkstatt mehr als Übergangslösung. Innerhalb ihrer Arbeitszeit würde sie auch Kurse von Fokus nutzen können. Ihre Anleiter unterstützen es, wenn sie sich weiterbildet.
Sie ist zwar beruflich noch nicht da angekommen, wo sie gern wäre, aber das führt sie nun nicht mehr auf ihre Fähigkeiten zurück, sondern sie kann ihre gesundheitlichen Einschränkungen als solche anerkennen.
Ein Wort zum Schluss? „Es kann nur besser werden!“
Irrtu(r)m – Wer ist das?
Ein persönlicher Rückblick von der Teilnehmerin Irmgard Hannemann, August ’23
Den Irrtu(r)m gibt es noch in einer Form, die mir nichts hilft, im Internet. Dort werden gerade Texte aus der Wörterwerkstatt veröffentlicht. Ich bin 84 Jahre alt und habe bei der Redaktion des Irrtu(r)ms mehr als 10 Jahre mitgearbeitet, zu Anfang. Der Irrtu(r)m war zu Beginn, bis zum 30. Jubiläum, ein Buch, welches ein Mal im Jahr herauskam. Es beinhaltete Texte und Bilder von psychisch kranken Menschen für Betroffene, Mitarbeiter sozialer Berufe und alle, die sich für Themen seelischer Gesundheit interessierten. Das Buch sollte auch Menschen ansprechen, die wissen wollten, was man tun kann, um die Verhältnisse zu ändern. Ich bin mit 17 J. (1957) krank geworden und galt als „Irre“, egal was ich tat. War ich aber nicht! Ich erkämpfte mir eine gute Ausbildung, durfte aber nur 12 Jahre als Lehrerin im musischen Gymnasium und einer Blindenschule arbeiten. Bei einer Krise, die in der Klinik behandelt werden musste, wurde durch die Institution Erwerbsminderungsrente gegen meinen Willen beantragt. Ich war bei Aufnahme der Therapie nicht gekündigt, hatte sogar während der Behandlung die Zusage meines Chefs, dass ich nach der Krise wiederkommen sollte, als Lehrerin, Kollegin, Freundin der Kinder und Jugendlichen, mit der Zusage: „Sie werden sehr gebraucht!“ Das war vor dem Personalnotstand, wir hatten ein voll besetztes Kollegium und eine Vertretung für mich. Ich hatte zwei gute Examen und einzigartige Zeugnisse, aber den Makel psychisch krank zu sein. Der Beschluss der Rente stürzte mich in eine erneute, tiefe Krise. Nach der Entlassung aus der Klinik nach vier Jahren vergingen noch weitere drei Jahre, als mich meine ambulante Therapie auf den Irrtu(r)m brachte. Noch angeschlagen kam ich zum Irrtu(r)m in die Redaktion. Wurde von den 10 – 12 Mitarbeitern liebevoll aufgenommen und in die Arbeit eingeführt. In der 1. Sitzung, und in allen Weiteren, wurden Texte vorgelesen, intensiv bearbeitet und abgestimmt. Ist der Text geeignet im nächsten Irrtu(r)m-Buch zu erscheinen? Ich war voll von Ideen zu fast allen Themen, aber sollten so viele fremde Menschen lesen, was ich durchgemacht und durchmachte?? Ich brauchte fast 3 Jahre, bis ich zuließ, dass Inhalte von mir, welche von der Redaktion als sehr gut angenommen waren, auch veröffentlicht wurden. Ich bekam so viel Zuspruch.
Jedes Buch, Inhalt von 1 Jahr Arbeit, ca. 250 – 300 Seiten, wurde Ende des Jahres mit einem Pressefest vorgestellt und für den Verkauf frei gegeben. Beim Pressefest wurden ausgewählte Texte vorgelesen und von den selbst gestalteten Bildern einiges an die Wand projiziert. Als ich dann auch Texte drucken ließ und bereit wurde, beim Pressefest eine Geschichte zu lesen, bekam ich so viel verständnisvolle Reaktion, dass ich wusste, der Irrtu(r)m, die Arbeit in der Redaktion, hat mir unendlich viel geholfen. Die Mitarbeiter*innen hatten ähnliche Probleme und das Erfahrungswissen, wir fanden alle einen Weg, damit zu leben. Zum 20. Bestehen wurden wir eingeladen von Bürgermeister Böhrnsen ins Rathaus, das Pressefest dort zu feiern. Doppelt so viele Anstrengungen und Einsätze, es wurde ein wunderbares Fest in dem Festsaal. Ich las vor: „Ein Baby, dass nicht gewollt war!“ Drei oder vier Männer kamen nach den Lesungen zu mir und bedankten sich herzlich für diesen Text. Wärme, Verständnis, ein Wissen wie es war, wenn ein uneheliches Kind unterwegs war. Der Austausch und die Bearbeitung meiner Themen – schlechte familiäre Verhältnisse, Gewalt in schlimmster Form – im Irrtu(r)m halfen mir. Ich traf Gleichgesinnte und fühlte mich gesehen.
Der Irrtu(r)m, die Menschen, die mit mir zusammenarbeiteten, das Schreiben und Austauschen über Schwierigkeiten und Ausgrenzung, ich bin heute fast gesund, psychisch!
Glück und Glück
Tanja K.
Der Unterschied zwischen dem Wunsch glücklich zu sein und was es wirklich bedeutet, wenn ein Mensch sich glücklich schätzen darf:
Wir sind glücklich, wenn wir einen schönen, neuen Haarschnitt bekommen haben, wenn wir eine heiße Schokolade trinken können oder aber auch, wenn wir einen guten Parkplatz erwischt haben. Aber sind diese Dinge wirklich das, was einen Menschen glücklich machen kann? Viele würden das erstmal mit Ja beantworten. Aber was macht denn wirkliches Glück aus? Und warum braucht es diese kleinen, unterschiedlichen Dinge, damit wir auch spüren, dass wir glücklich sind?
Wir brauchen diese, ich sage mal „Anlässe“, weil wir verlernt haben zu spüren, was nötig ist um glücklich zu sein. Wir haben verlernt uns zu freuen, wenn wir unserem Körper und unserem Geist alles das geben können, was benötigt wird. Das ist nicht genug! So sagen wir es uns. Wir wollen mehr und geben uns nicht zufrieden mit dem, was nötig ist für Körper und Geist.
Wie viele Menschen mehr wären glücklich und zufrieden, würden sie doch nur wissen und spüren, dass es nicht mehr braucht, sondern weniger, um sich glücklich schätzen zu können. Wir brauchen nicht den Parkplatz direkt vor der Tür, wenn wir ehrlich sind brauchen wir nicht mal das Auto. Wir brauchen nicht eine heiße Schokolade, Flüssigkeit ist wichtig und sollte uns allein schon mehr als glücklich machen. Auch brauchen wir keinen Haarschnitt für 200 Euro, denn wir brauchen nicht mal viel Geld.
Was der Mensch wirklich braucht, um glücklich zu sein, ist etwas längst Vergessenes. Etwas, was in unserer Gesellschaft nicht mal mehr erdacht wird. Nämlich zu wissen, wie gut wir es haben. Was wir alles haben, ohne die vielen Extras: Wir haben Kleidung für jede Temperatur, müssen also nie frieren. Wir haben genug Trinkwasser, müssen also niemals durstig sein. Eine warme saubere Wohnung. Es kommt jede Woche eine Müllabfuhr, so dass wir nicht in unserem Müll sitzen oder ihn selbst forttragen müssen. Es gibt so viel Essen, im Überfluss, nie müssen wir Hunger leiden. Eher leiden wir schon an dem Überangebot. Wir können uns bilden, es gibt Bücher, und das Wichtigste daran: Wir können alle lesen, haben es kostenfrei in der Schule gelernt. Wir haben Telefone, wir sind immer erreichbar und können die ganze Welt erreichen.
Ich könnte immer so weiter machen. Es gibt mehr und mehr Punkte, die ich auf meine Liste schreiben könnte, wieso normalerweise ein jeder von uns glücklich sein dürfte.
Ich frage mich: Wieso reicht das hier Keinem, um sich glücklich zu fühlen? Was bitte stimmt nicht mit unserer Wahrnehmung? Ich für meinen Teil hoffe, dass wir Menschen mehr ins Gefühl, mehr ins Bewusstsein kommen. Wenn wir wirklich in uns hinein spüren, was wir brauchen, was in dem jeweiligen Moment nötig ist, dann wird es nicht die Konsole, der Friseur oder das Fußballspiel sein, sondern entweder Schlaf, etwas zu trinken, etwas zu essen, eine warme Strickjacke oder diese vielleicht einfach mal auszuziehen, damit wir nicht mehr schwitzen.
Die Meisten von uns haben einfach alles, alles was es braucht um glücklich zu sein. Ich möchte das beherzigen, ich möchte für mich den Unterschied machen und wünsche mir für Euch, dass Ihr auch bald glücklich sein könnt mit allem was Ihr habt, ohne noch etwas dazu zu bekommen.
Genug
Irene Olthoff
Manchmal vergesse ich, dass wir genug sind.
Hänge die Diskussionen im Alltag höher, als die schönen Abende zu zweit.
Schätze auch zu wenig, die Familienzeit.
Ich mache mir Gedanken, alles hinzukriegen
Statt wirklich wahrzunehmen, wie wir uns vor Lachen biegen.
Bin vertieft in wie mein Kleiner werden soll
Und wie ich ihm beistehe
Statt zu sehen was er heut
Schon schafft auf seinem Wege
Manchmal vergesse ich, dass es genug ist.
Gefangen in schweren Gedanken
Bin ich verschlossen für all die Wunder
Übergehe aufzutanken
Steig Stufe für Stufe runter
Denke an den Krieg, an all die Sorgen
Schulter mit schlechtem Gewissen das Klima von Morgen
Fühle mich hilflos und in Ohnmacht
Dabei gibt mir doch zugleich so Vieles Kraft
Ich bin beschenkt mit Erfahrungen wie Meeresrauschen
Kann arbeiten und mich mit Menschen austauschen
Kann Essen genießen und Reisen wagen
Lasse mich von meinen Füßen überall hintragen
Bin fähig meine Stimme zu erheben
Kann gerade frei von Depression mein Leben leben
Manchmal vergesse ich, dass ich genug bin.
Hab solange versucht, zu reichen
Wollte dafür immer mehr leisten
Hab meine Löcher mit Anerkennung gestopft
Und mich trotzdem nicht Ganz gefühlt
Dass das falsch ist, erfasste mein Kopf
Doch mein Herz hat weiter gewühlt
Inzwischen merke ich auf bei dieser inneren Stimme
Sage mir, dass ich mich gut finde
Und hoffe, dass ich nicht vergesse:
Wir sind genug.
Es ist genug.
Ich bin genug.
Ich bin bipolar
anonym
Ich bin bipolar.
Anders als andere Menschen trage ich das Risiko, depressiv, hypomanisch, manisch oder psychotisch zu werden. Das macht meine Grenzen bedeutsam, vielleicht manchmal mehr als „normalerweise“. Ich achte darauf, genug zu schlafen, gesund zu essen, regelmäßig Sport zu machen, mich auszuruhen und zu entspannen, soziale Kontakte zu pflegen, damit ich nicht krank werde.
Dieses Achten meiner Grenzen ist einfach notwendig. Wenn ich es schaffe, sie zu achten und gesund zu bleiben, ist das Stärke. Wenn ich merke, dass ich Hilfe brauche und danach frage, ist das Stärke.
Ich schaffe es trotz dieser Störung …
- … meine Tochter zu umsorgen, zu lieben und zu erziehen, ruhig auf ihre Trotzanfälle zu reagieren und ihr ein echtes Gegenüber zu sein. Jeden Morgen gegen 6 Uhr aufzustehen, (auch am Wochenende nicht auszuschlafen), ihr eine Brotdose zu machen, sie zur Krippe zu bringen, den Tag als berufstätige Mutter so zu strukturieren, dass wir es sauber haben und gemeinsam etwas Frisches essen können. Ich organisiere täglich Telefonate, Arzttermine, Geburtstagsgeschenke, usw. Wenn meine Tochter krank wird oder die Krippe schließt, organisiere ich auch das spontan.
- … meine Medikamente rechtzeitig zu nehmen, wenn ich Frühwarnzeichen erkenne. Die Meinung von Fachärzten auch mal zu hinterfragen, wenn sie sich nicht richtig anfühlt und meinen eigenen Fahrplan zu erstellen. Trotz Schwierigkeiten mit gängiger Medikation und damit einhergehend häufigen Diskussionen, halte ich Rücksprache mit mir vertrauten Ärzten und setze nichts schlagartig ab. Ich höre aber auch auf meinen Körper und setze mich im Zweifelsfall durch.
- … seit gut 8 Jahren eine feste Beziehung zu führen, seit 4 Jahren sind wir glücklich verheiratet. Wir haben unsere Auf’s und Ab’s, klar, aber wir meistern sie auch zusammen. Das bedeutet auch: Gemeinsam akute Phasen, Klinikaufenthalte überwinden. Sich während der Elternschaft neu finden, die Paarbeziehung auch mit Kleinkind integrieren. Offen kommunizieren.
- … berufstätig zu sein. Im Job lebe ich einen anderen Teil meiner Persönlichkeit aus und beschäftige mich mit völlig anderen Dingen.
- … mir Zeit für Freundschaften zu nehmen und den Spaß am Leben zu bewahren. Ich fahre gern zum Freibad, male gerne, lese gerne. Ab und an tanze ich auf einer Party oder hüpfe zur Livemusik. Ich liebe auch Tiere und sorge dafür, dass unser Hund alles hat was er braucht.
- … nicht mehr zu rauchen.
Wenn ich weiter hier sitze und über die Stichpunkte nachdenke, fällt mir bestimmt noch etwas ein. Und trotzdem bin ich mir nie genug. Ich habe heute mit meiner Therapeutin gesprochen, ob und wie ich mehr Unterstützung zuhause bekommen kann, um mich vor Überlastung zu schützen und stabil zu bleiben. Ich fühle mich schwach.
Wenn ich merke, dass ich Hilfe brauche und danach frage, ist das Stärke.
Wenn ich merke, dass ich Hilfe brauche und danach frage, ist das Stärke.
Wenn ich merke, dass ich Hilfe brauche und danach frage, ist das Stärke.